Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Wer ist Ron Paul? (restlos ausverkauft / aus dem Programm genommen)

Die „Ron Paul Revolution“ in Deutschland und Europa

Die Revolution, zu dessen Wurzeln eine wachsende Zahl von Amerikanern, inspiriert von Ron Paul, zurückkehren möchten, sei nach Meinung von Rose Wilder Lane eine Weltrevolution gewesen. Und zwar im Sinne der universalen Gültigkeit ihrer Botschaft, nämlich dass der individuelle Mensch der Herrscher seines eigenen Lebens ist. Im Rahmen der „Ron Paul Revolution“ gibt es ein beachtenswertes Phänomen, das diese These Lanes zu untermauern scheint: Die liberale Graswurzelbewegung hat sich außerhalb der USA in mindestens 30 weiteren Ländern ausgebreitet. Auch in Deutschland. Und dies, obwohl die Berichterstattung über Paul in den alten Medien in den meisten dieser Länder eher noch abschätziger und vernachlässigender war als in den USA, während andere Kandidaten wie Barack Obama oder Hillary Clinton fast hochgejubelt wurden. Warum verhalten sich die Journalisten so? Und welche Auswirkungen könnte eine „Ron Paul Revolution“ auf Deutschland haben? Wenden wir uns zunächst der ersten Frage zu:

    Zum einen machen es sich die Journalisten einfach und schreiben von ihren Kollegen in den USA ab. Doch es gibt auch originäre Reportagen, und auch in diesen wurde, von seltenen Ausnahmen abgesehen, die ungewöhnlichste Kandidatur dieser Wahlrunde bis Ende Januar 2008 entweder wie Luft, oder mit Verachtung, oder mit auffälliger Schlampigkeit behandelt. Zum Beispiel wenn Torsten Krauel, in der „Welt“ vom 19.12.2007, Paul am „Randspektrum“ der Republikaner sieht, aber nicht sagt, an welchem Rand. Am linken, wegen seiner Kriegsgegnerschaft? Oder am rechten wegen seiner Kritik an der laxen Einwanderungspolitik? Andere Journalisten versuchten, Paul ins Lächerliche zu ziehen, nannten ihn „Hofnarr“ (Georg Mascolo und Marc Pitzke am 4.5.2007 in „Spiegel Online“) oder „Lachnummer“ (Christoph Keese am 29.11.2007 in der „Welt“). Oder es wurde nicht begriffen oder verschwiegen, wie entscheidend für Pauls Wahlkampf die Heerscharen freiwilliger Helfer sind, deren Anzahl und Enthusiasmus im Vergleich zu jenen anderer Kandidaten einzigartig ist. Zum Beispiel, wenn Gregor Peter Schmitz am 30.11.2007 in „Spiegel Online“ behauptete, „Mitarbeiter“ Ron Pauls hätten „einen regelrechten E-Mail-Krieg gegen den Polit-Blog der ‚Baltimore Sun‘ gestartet“.

    Die bis Ende Januar 2008 ausführlichsten Berichte über Ron Paul (was nicht viel heißt) in einem alten deutschen Medium stammen von Gabor Steingart, dem Vize-Chef des „Spiegel“. Seinen wenigen Sätzen und Absätzen über den texanischen Kandidaten, die in größere Berichte über den Wahlkampf in den USA eingebettet sind, fehlt es jedoch fast völlig an Inhalten und sie zielen oft, bezeichnenderweise, ganz haarscharf an einer zutreffenden inhaltlichen Darstellung vorbei. Jedenfalls verraten seine Worte mehr über den Autor, über seine Unwissenheit über die Hintergründe von Pauls Standpunkten und über seinen Unwillen, uns über Paul zu unterrichten, als über Paul selbst.

    Erstmals erwähnte Steingart den texanischen Kandidat am 8.10.2007, als er in „Spiegel Online“ schrieb, er hätte mit dem Republikaner gesprochen: „Diese Frage [warum eine öffentliche Wahlkampffinanzierung an den Republikanern scheiterte] stellte ich am Freitag im Washingtoner Mayflower Hotel Ron Paul, der allen Grund hätte nach öffentlichem Wahlkampfgeld zu rufen. Denn die Privatwirtschaft meint es nicht gut mit ihm. [Anmerkung R.G.: Die Privatwirtschaft schon. Nur nicht die mit dem Staat und der Federal Reserve eng verwobene Groß- und Lobbyindustrie.] Der Arzt und texanische Kongressabgeordnete tritt als Präsidentschaftskandidat an und ist im Wettlauf um Spendergeld weit abgeschlagen. [Anmerkung R.G.: Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass Paul allein in der letzten Septemberwoche mehr als eine Million Dollar an Spenden eingenommen hatte, mehr als doppelt so viel wie in diesem Quartalsendspurt geplant.] Man tritt ihm wohl nicht zu nah, wenn man feststellt: Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird nicht Ron Paul heißen. [Anmerkung R.G.: Man tritt Herrn Steingart wohl nicht zu nah, wenn man feststellt: Das ist bei der Botschaft, die Ron Paul verbreitet, nicht das allein Entscheidende, und das sollte Herr Steingart eigentlich wissen.]

    Aber der Republikaner ist tapfer. [Anmerkung R.G.: Das stimmt schon, auch wenn der Ton hier herablassend ist. In diesem Zusammenhang würde das Wort „prinzipienfest“ besser passen.] Schon das Wort ‚öffentliche Finanzierung‘ passe ihm nicht, sagt er. Was heiße schon öffentlich, fragte er zurück. Es ist sein Geld, sagte er und zeigte auf Menschen, die an uns vorbei durch die Hotelhalle eilten. ‚Es ist ihr Geld, Steuerzahlergeld, und warum sollte der Steuerzahler meinen Wahlkampf finanzieren?‘ [Anmerkung R.G.: Paul hätte inzwischen ‚matching funds‘ bekommen können, eine seiner Spendensumme entsprechende Geldmenge aus der öffentlichen Kasse. Das hat er jedoch bisher aus Prinzip abgelehnt.] Für ihn hat der Satz von Ronald Reagan nichts an Strahlkraft verloren: Der Staat ist nicht die Lösung, er ist das Problem. [Anmerkung R.G.: Für Steingart ist das Gegenteil offenbar selbstverständlich, denn es folgt keine weitere Diskussion dieses Standpunktes.]“

    Am 5.11.2007, dem Tag der ersten großen Spendenbombe für Paul (die Steingart ignoriert), tat der „Spiegel“-Redakteur hingegen so, als habe das Gespräch im Oktober nie stattgefunden. Zumindest, als habe er noch nie von Pauls auffälligstem Unterscheidungsmerkmal im Vergleich zu allen anderen republikanischen Kandidaten gehört, nämlich seine langjährige und entschiedene Ablehnung von Angriffskriegen wie den gegen den Irak. Was sehr unwahrscheinlich ist. Nun aber schrieb er in „Spiegel Online“: „[George W. Bush] diktiert die Stellenbeschreibung [des zu nominierenden Kandidaten der Republikaner]. Gesucht wird demnach kein Wirtschaftsfachmann und kein Chefdiplomat, sondern ein Sheriff, ein Mann mit Nerven aus Stahl, einer, der führen kann, wobei führen in der Vorgabe von Bush immer zuerst Krieg führen bedeutet.Alle [!!] republikanischen Kandidaten geben sich erkennbar Mühe, das Mindestmaß an Härte und Kühnheit, angereichert mit einem Schuss Wahnsinn, zu erfüllen. [Anmerkung R.G.: Vielleicht wünscht sich Herr Steingart, dass dem so sei, damit sein anscheinend recht einfach gestricktes Weltbild wieder ins Lot kommt und die von ihm bevorzugte Kandidatin der Demokraten im Vergleich zu Paul nicht wie eine wahnsinnige Kriegshetzerin aussieht.]“

    Am 3.12.2007 kennt er Ron Paul offenbar wieder. An jenem Tag schreibt er in „Spiegel Online“, wohl etwas widerwillig: „Einen wie Ron Paul dürfte es eigentlich gar nicht geben. [Anmerkung R.G.: Ist auch hier der Wunsch Vater des Gedankens?] Der Mann stammt aus Texas und ist gegen Bush. Er ist konservativ und will den Krieg im Irak beenden. Er kämpft gegen das Recht auf Abtreibung genauso wie für die Abschaffung des US-Geheimdienstes CIA. Wer mit Paul spricht, spürt sofort das Feuer des Eiferers. Der ehemalige Frauenarzt, der von sich sagt, dass er mehr als 4000 Babys zur Welt gebracht habe, ist kratzbürstig, spröde und rechthaberisch. Man kann nicht behaupten, das[s] er ein großer Charmeur wäre. [Anmerkung R.G.: Diese letzten drei Sätze sind eigenartig. In den meisten Fernsehinterviews, aber auch in den vielen Amateurfilmen auf YouTube.com wirkt Paul natürlich, unaufgeregt, authentisch und, ja, charmant. Sein Lachen ist das eines Menschen mit Humor, nicht aufgesetzt oder gezwungen wie bei vielen Politikern sonst üblich. So stellt sich die Frage, weshalb Steingart ihn nicht charmant findet. Paul hat oft bewiesen, dass er keine Scheu hat, seine Interview-Gesprächspartner freundlich, aber bestimmt, zu belehren, wenn deren Fragen, Behauptungen oder Prämissen schlecht durchdacht oder einfach dumm sind. Daher wohl auch Steingarts Etikettierung von Paul als „rechthaberisch“.] Aber gerade deshalb ist er ein interessanter, um nicht zu sagen ein wertvoller Politiker. An ihm l[ä]sst sich die Widersprüchlichkeit, besser: die Großartigkeit, des amerikanischen Wahlsystems studieren. Denn als langjähriger Abgeordneter im US-Kongress will dieser Ron Paul nun der nächste Präsident Amerikas werden. Er hat nicht die geringste Chance, und dennoch fliegen ihm die Sympathien und die Wahlkampfspenden nur so zu. Und warum? Weil Kandidaten wie er dem politischen Prozess erst das Leben einhauchen, weil ihre Schrulligkeit das Hirn anregt, weil sie als Trainingspartner der wirklich Mächtigen taugen oder weil sie schlicht das Wichtigste beisteuern, was die amerikanische Demokratie von der russischen unterscheidet: Auswahl.“

Diese letzten Bemerkungen schließlich sind entlarvend. Zum einen ist Steingart machtverliebt. Nur die „wirklich Mächtigen“ sollen auch an der Macht bleiben. Dann behauptet er, mit anderen Worten, die Amerikaner nehmen ihre Wahl nicht ernst und Spenden einem Kandidaten Geld, nicht weil sie ihn gewinnen sehen wollen, sondern weil sie wollen, dass er die Debatte anregt. Das ist eine Beleidigung für die Intelligenz seiner Leser, ganz abgesehen von den Spendern. Steingart ist offenbar fassungslos. Er kann es nicht fassen, dass zehntausende von, vor allem jungen, Menschen und offenbar auch Menschen aus unteren Einkommensschichten, einem „schrulligen“ alten Mann zulaufen, noch dazu einem Republikaner, der dem Spiegel-Redakteur intellektuell wahrscheinlich haushoch überlegen ist, aber die von Steingart favorisierte Interventionspolitik im In- und Ausland entschieden ablehnt. Junge Menschen, die informationstechnisch auf dem neuesten Stand sind, und Menschen aus den unteren Einkommensschichten, waren im Weltbild der Steingarts bislang die unbestrittene Domäne der von ihnen bevorzugten Demokraten. Und nun formieren sie eine Bewegung, eine spontane dazu, für einen Republikaner, wo doch so (äußerlich) progressive Kandidaten wie der „schwarze“ Barack Obama oder die „Frau“ Hillary Clinton zur Verfügung stehen, und versetzt das Establishment in Angst und Schrecken. Es ist verständlich, dass da ein ehemaliger Grünen-Politiker wie Steingart zu schockiert ist, um über Paul etwas Realitätsbezogenes zu schreiben. Aber immerhin hat er sich bemüht, was mehr ist als man Ende Januar 2008 über fast alle anderen hauptamtlichen Journalisten im deutschsprachigen Raum sagen konnte. Eine lobenswerteAusnahme verdient jedoch Erwähnung:Am 22.12.2007 schrieb Martin Stahlke auf der Webseite readers-edition.de einen wohlinformierten und differenzierenden Artikel allein über den republikanischen Kandidaten aus Texas, den er einen „Außenseiter“ nannte, „der einen genaueren Blick lohnt“. Positiv hervorzuheben ist auch die für einen Journalisten ungewöhnliche Bereitschaft Stahlkes, sich kritischen Kommentaren über die Unangebrachtheit seines Begriffes „Isolationismus“ zur Beschreibung der Außenpolitik Pauls zu stellen. („Nicht-Interventionismus“ ist der passendere Begriff, wie ihn einige Leser freundlich belehren. Wer mit dem Rest der Welt, einschließlich Kuba, Handel treiben will, sich aber nicht den diesbezüglichen Tarif- und sonstigen Regelungen internationaler Organisationen unterwerfen will, ist kein Isolationist.)

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